Unser Sexleben kultivieren – die Kraft der Rituale

In der vertrauten Zweisamkeit, im System des Schon-länger-miteinander-unterwegs-seins, kann eine wohlige Ruhe einkehren. Eine durchaus wertvolle Ruhe. Eine Verlässlichkeit, die gut tut. Es ist durchaus möglich, dass dies aber auch mit dem Einschlafen des Begehrens einhergeht. Und wenn jemandem die Atemlosigkeit des Unbekannten und Neuen fehlt, kann ein Ritual eine Möglichkeit bieten, das Sexleben zu kultivieren und neu, anders zu zelebrieren:

 

Teil 1: ich offenbare mich

 

  1. Definiert einen Moment, wann du und dein Partner Raum und Zeit für euch schaffen könnt. Möglicherweise tragt ihr diesen Termin vorgängig in die Agenda ein. Stellt euch vor, dass dies ein Date zwischen euch ist. Es ist verbindlich. Wenn nötig, definiert ihr einen Ersatztermin, falls etwas dazwischen kommt. Schafft euch diesen Freiraum. Vielleicht ist es ein Moment, an dem ihr alleine seid, an dem die Kinder betreut sind oder bereits schlafen.
  2. Legt ein Thema fest, worüber ihr reden möchtet. Haltet euch an die Regeln: du redest von dir, wie es dir geht, was du über dieses Thema denkst, was mit dir passiert – bleibe bei den ich-Botschaften. Formuliere, was du fühlst, was du denkst, wie du die Welt wahrnimmst. Es geht darum, dass du dir deinen Gefühlen bewusst wirst. Dass du dich mit dir und deinem Leben, mit deiner Situation auseinander setzt. Nimm dies als Möglichkeit, dich zu reflektieren, deinen Gedanken und Gefühlen Raum zu geben. Erzähle, was in dir vorgeht. Erzähle, wohin dich deine Gedanken tragen. Wenn Stille entsteht, halte die Stille aus.
  3. Stellt die Stoppuhr auf mindestens 10 Minuten ein.
  4. Du redest 10 Minuten. Du erzählst von dir, dein Partner hört dir zu. Er stellt keine Rückfragen, er gibt keine Inputs. Diese Zeit gehört dir und deinen Gedanken. Deinen Gefühlen. Deinen Assoziationen.
  5. Wenn die Zeit um ist, meldet dein Partner zurück, was er gehört hat. Er erzählt nach. Es geht nicht darum, zu interpretieren oder deine Gedanken und Gefühle zu bewerten. Er erzählt nicht von seinen Gefühlen oder Gedanken. Er spiegelt dich. Er erzählt von deinen 10 Minuten Redezeit.
  6. Möglicherweise ist es wichtig, Dinge noch einmal auszuführen oder deine Gedanken zu ergänzen. Bleibe bei dir und deinen Gefühlen. Bleibe bei deiner Wahrnehmung. Ihr dreht euch noch immer um deine Erzählung.
  7. Dann wechselt ihr die Rollen. Du hörst 10 Minuten zu, wenn dein Partner über das gleiche Thema redet. Du hörst zu und nimmst wahr.
  8. Spiegle deinen Partner, indem zu erzählst, was du von ihm gehört hast. Interpretiere nicht. Erzähle, was er erzählt hat. Formuliere, wie es ihm geht, formuliere in deinen Worten, was er gesagt hat. Bleibe bei dem, was er gemeint hat, nicht bei dem, was du darunter verstanden hast oder gerne gehört hättest.
  9. Vielleicht gibt es Dinge, die er noch einmal erklären oder präzisieren möchte. Er hat die Gelegenheit dazu, dies in einem wohlwollenden Rahmen nachzuholen.
  10. Wenn sich daraus ein Gespräch ergibt, nehmt dies an. Bleibt in der Diskussion bei euch, redet von euren Gefühlen, von euren Gedanken. Schützt diesen Raum als einen Raum der Offenheit, des Vertrauens, und seid euch bewusst, dass ihr euch offenbart. Seid achtsam damit, dass ihr euch zeigt und dadurch auch verletzlich seid. Respektiert eure Andersartigkeit.

 

So viele Probleme und Herausforderungen entstehen, weil wir nicht miteinander kommunizieren. Oft verstecken wir uns hinter den Alltagsthemen, hinter einer Fassade, hinter Nebensächlichkeiten – damit wir uns nicht zeigen müssen. Wenn wir uns zeigen, sind wir vermeintlich verletzbarer. Manchmal fühlen wir uns schwach und bedürftig. Oder wir sehen Eigenschaften, die wir an uns nicht so toll finden. Vielleicht schämen wir uns für das, wie wir uns zeigen.

Wenn wir lernen, über uns und unsere Gefühle, über unsere Wahrnehmung zu reden, offenbaren wir unser Inneres. Wir zeigen uns in unseren Ängsten, in unserer Wut, mit unseren Bedürfnissen und Wünschen. Wenn wir Glück haben, sind wir so mutig, unsere Geheimnisse zu offenbaren. Diese Geheimnisse führen uns zu uns. Und wenn wir noch mehr Glück haben, verbinden sie uns mit unserem Gegenüber.

 

Teil 2: ich begegne dir

 

Vielleicht benötig ihr nach eurem Gespräch einen Moment, an dem jede/r für sich ist. Einen Moment der Stille. Einen Moment, die Gedanken und Gefühle zu ordnen, die aus dem intimen Gespräch nachklingen. Vereinbart den Zeitpunkt, an dem ihr euch wieder trefft.

Schafft euch einen Raum, in dem ihr euch beide wohlfühlt. Schafft einen sicheren Raum. Einen Raum, in dem ihr euch sicher und geborgen fühlt. Einen Raum, der nur euch beiden gehört. Ihr begegnet einander. Dabei ist jede/r bei sich angekommen, und daraus seid ihr bereit, in Begegnung zu treten.

Idealerweise habt ihr vorgängig abgemacht, wie es nun weitergeht. Zentral ist, dass ihr euch in einer körperlichen Form begegnet. Sei dies, dass ihr euch massiert. Vielleicht möchtet ihr kuscheln. Oder euch die Haare frisieren. Oder ihr möchtet euch sexuell vereinigen, sei dies im stillen oder im feurigen Lieben. Eurer Fantasie und euren Bedürfnissen sei keine Grenzen gesetzt.

Möglicherweise begegnet ihr euch anders, als ihr es euch gewohnt seid. Durchbrecht eure Gewohnheiten. Seid neugierig aufeinander. Lasst euch überraschen, wie das Wesen, auf das ihr trefft, ist.  Spielt miteinander. Und geht wohlwollend und achtsam miteinander um. Respektiert euch. Und seid euch bewusst, dass es ein Geschenk ist, mit einem Menschen im Austausch zu sein, für den ihr euch entschieden habt. Vielleicht liegt diese Entscheidung schon lange zurück, und möglicherweise habt ihr den Zauber des Kennenlernens vergessen. Forscht. Taucht ein. Begegnet euch. Und lasst euch überraschen, was mit euch passiert.

Wir meinen, je mehr wir von uns offenbaren, umso verletzlicher sind wir. Wir haben Angst, einander zu begegnen. Ich erlebe das Gegenteil: Je klarer ich in Verbindung bin mit mir, mit meinen Wünschen, meinen Bedürfnissen und Gefühlen, umso stärker fühle ich mich in Kontakt mit mir. Ich spüre meine Kraft und meine Energie. Ich bin in Verbindung mit mir. Und so kann ich sicher in Verbindung mit meinem Gegenüber treten.

Ich wünsche dir viel Mut, in Begegnung mit dir zu treten. Ich wünsche dir Neugierde, deinen Partner kennen zu lernen. Immer wieder neu. Und doch irgendwie vertraut.

Und natürlich – die Begegnungen zwischen den Polaritäten, der Austausch zwischen Menschen, das Wertvolle und Lustbetonte und Wachstums-Anregende, all dies passiert auch in der Begegnung mit Menschen gleicher Sexualität.