Du und ich – oder du, ich und der andere?

Ist es normal, das Leben lang einen einzigen Partner zu lieben? Sind wir dafür gemacht, uns an einen Menschen zu binden, uns emotional und sexuell zu verpflichten und uns Treue zu schwören? Oder ist es normal, mehrere Menschen gleichzeitig zu lieben? Uns mit verschiedenen Seelen zu verbinden und in Beziehung zu gehen?

 

Für immer und ewig!

Für viele Menschen in unserer Kultur ist es erträumens- und erstrebenswert, den perfekten Partner zu finden. Wir gehen von einem romantischen Ideal aus: Wir treffen auf den Mann unserer Träume, binden uns, erleben Liebe und Romantik und planen die gemeinsame Zukunft. Dieses Ideal wird uns in diversen Medien vorgelebt. Wir können in einer Illustrierten blättern, durch TV-Serien zappen oder den Liebesliedern lauschen, immer wieder wird uns aufgezeigt, dass die Paarbeziehung das erstrebenswerte Glück darstellt. Wir gehen davon aus, dass die Monogamie, die Zweierbeziehung, das Ziel unserer Liebe ist.

 

Wie tolerant sind wir bezüglich unseres sexuellen Begehrens?

Niemals zuvor in der Geschichte genossen wir Menschen in unseren Breitengraden so viel Freiheit bezüglich Sexualität und verschiedene Beziehungsformen wie heute. Diese Freiheit verdanken wir einerseits der Aufklärungs-Epoche, andererseits der sexuellen Revolution, welche unter anderem die Pille als recht sicheres und erschwingliches Empfängnisverhütungsmittel hervorbrachte. Die Zweck-Ehe und Vernunft-Ehe wich der Liebes-Ehe, Bindungen und Beziehung wurden aufgrund von romantischen Idealen geschlossen und besiegelt.
Wir leben in einer offenen, liberalen und toleranten Gesellschaft. Und doch sind viele überlieferte, vielleicht überholte Normen tief verankert und kulturell gefestigt. Die Norm unserer Gesellschaft ist nach wie vor verbreitet, dass wir versprechen, uns zu lieben, zu achten, zu ehren und uns treu zu sein, bis dass der Tod uns scheidet. Dass dieses Versprechen aus der Zeit stammt, als unsere Lebenserwartung noch deutlich tiefer war, dafür aber die heutigen Zeiten umso schnelllebiger, dass die Frauen finanziell unabhängiger und emanzipierter dastehen – dies geht oft in der Phase der Beziehungsschliessung vergessen.

Demgegenüber stehen die hohe Trennungs- und Scheidungsrate und die Dunkelziffer der Nebenbeziehungen und Affären, die grosse Nachfrage von Prostituierten. Demgegenüber steht die Überforderung des Systems der Kleinfamilie. Ein Spiegel davon sind die unzähligen Beziehungsratgeber, die sich in die Bestsellerlisten drängen.

Überdenken wir unsere Normen und kulturellen Gegebenheiten, müssen wir uns unweigerlich mit unseren Ängsten und Wünschen auseinander setzen. Wir haben aber auch die Chance, uns mit dem Mann unserer Träume auseinander zu setzen und zu definieren, welche Beziehungsform für diesen Moment, in dem wir sind, für beide passend ist. Wir bewegen uns möglicherweise in einer Grauzone und riskieren, unsere Komfortzone zu verlassen. Möglicherweise ist dieser Weg anstrengend und gefährlich, aber möglicherweise ist dies auch ein Weg, auf dem wir uns längerfristig lebendig und in Beziehung mit uns selber und mit unserem Partner fühlen.

Aber was bedeutet Monogamie? Was ist eine offene Beziehung? Und was heisst Polyamorie? Oder – sind wir nicht am glücklichsten als Single?

 

Monogamie – ist die möglich?

Unter Monogamie (Einehe) verstehen wir die eine exklusive Beziehung zweier Menschen. Es ist eine Verbindung mit einem Partner und wird unterteilt in soziale, sexuelle und serielle Monogamie. Reden wir von einer monogamen Beziehung, schliessen wir meistens sämtliche Varianten ein.
Die soziale Monogamie hat hauptsächlich zum Ziel, die gemeinsame Brut zu beschützen und aufzuziehen. Die sexuelle Monogamie setzt die sexuelle Exklusivität zwischen den Partnern voraus. Von serieller Monogamie redet man, wenn Beziehungen zwar exklusiv sind, jedoch nur für einen bestimmten Zeitraum andauern.

Die Monogamie hat sich vor allem aus dem Bedürfnis nach Sicherheit, Stabilität und Kontrolle entwickelt – die Kontinuität dieses Beziehungsmodelles ermöglicht es auch den Kindern, in einem konstanten Umfeld gross zu werden. Die Strukturen sind meist geregelt, die nächsten Bezugspersonen definiert.
Oft steht die Monogamie auch auf einem religiös-moralischen Fundament – und wurde durchs Patriarchat gefestigt. Dadurch, dass sich die Frauen aber finanziell unabhängiger und selbständiger entwickelt hatten, büsste dieses Beziehungsmodell an Stabilität ein.

Obwohl nur ein kleiner Prozentsatz der heutigen Kulturen Monogamie als Ehe- oder Beziehungsform vorschreibt, leben viele Paare freiwillig und lebenslang zusammen. Scheitert hingegen eine monogame Beziehung, spricht niemand gegen die Monogamie, sondern höchstens gegen die Beziehungsfähigkeit der Beteiligten.

 

Geliebte Monogamie – haben wir die Wahl?

Eine monogame Beziehung geht also von sexueller und emotionaler Treue aus. Es ist eine Bindung zwischen zwei Menschen. Diese Bindung wird bewusst oder unbewusst, oft still und einvernehmlich definiert und vermittelt das Gefühl von Intimität und Kontinuität. Dadurch, dass die monogame Form in unserer Gesellschaft weitverbreitet ist, werden grundlegende Diskussionen, wie die Zweierbeziehung gelebt werden möchte, nicht geführt. Wir orientieren uns an den unausgesprochenen Normen und Regeln von Treue und Zweisamkeit.

 

Ich und du und die anderen – die offene Beziehung

Die Ausgangslage für eine offene Beziehung ist eine Paarbeziehung oder Kernbeziehung. Das Paar hat sich für einen gemeinsamen Weg entschieden und pflegt die verbindende Intimität und Emotionalität. Darüber hinaus öffnet es sich für weitere sexuelle Kontakte. Dies bedeutet, dass der eine oder der andere oder beide Partner neben der «Basis-Beziehung» noch andere sexuelle Kontakte pflegen können. Es ist die einvernehmliche Form einer nicht-monogamen Beziehung.

Formen von diesen sexuellen Kontakten sind andere Sexualpartner*innen, Swinger-Clubs oder gemeinsamer Sex mit weiteren Personen.

 

Sex ohne Gefühle – kann frau das? Will frau das?

Im Gegensatz zu polyamoren Beziehungen geht das offene Paar von sexuellen Kontakten aus, welche ausserhalb der eigentlichen Beziehung stattfinden – unter Ausschluss von den grossen Gefühlen. Ziel ist, sich sexuell und persönlich weiter zu entwickeln und einen selbstbestimmten Raum zu definieren. Grundsätzlich ist die Ausgangsbeziehung die Kernbeziehung, welche Beständigkeit geniesst.

Wenn sich ein Paar öffnet, treten andere Themen in den Raum: Wie stabil ist unsere Kernbeziehung? Bin ich eifersüchtig? Welche Ängste und Unsicherheiten plagen mich? Besteht ein Gleichgewicht zwischen den beiden Partnern? Hat der eine mehrere sexuelle Kontakte und der andere keine, welche Gefühle löst dies bei den involvierten Personen aus? Bleiben die Aussenbeziehungen rein auf der sexuellen Ebene, oder wann kommen Gefühle ins Spiel? Welche Gefühle bedeuten eine Gefahr und wann können sie die Kernbeziehung erschüttern?

 

Ich liebe die Welt – Polyamorie

Im Gegensatz zu der offenen Beziehung werden in der Polyamorie verschiedene Liebesbeziehungen parallel gelebt. Alle Involvierten sind über die anderen Liebesbeziehungen und Verbindungen informiert. Es geht nicht nur um die Pflege sexueller Kontakte, sondern darum, in emotionaler und seelischer Verbindung in einem erweiterten Kreis zu stehen.

Die Ausgangslage «jede und jeder gehört sich selber» bildet die Basis. Alles sind autonome Menschen, die aus Liebe zu sich, zum anderen und zum Universum in Verbindung mit anderen Menschen treten. Die Liebe ist teilbar und mit verschiedenen Partnern lebbar. Die Liebe schrumpft nicht, wenn man neben einem Partner auch andere gleichwertige Partnerschaften lebt.

 

du gehörst dir, ich gehöre mir – und doch lieben wir uns

Polyamorie ist eine Beziehungsform, die viel Zeit, Engagement und die Bereitschaft zur Kommunikation von den Mitliebenden fordert. Themen wie Verlustängste, Selbstwert, Toleranz, inneres Wachstum, Grossherzigkeit, Loslassen und Gewinn durch Vielfalt und Tiefe begleiten den polyamoren Lebensstil. Oft werden jahrelange emotionale und sexuelle Beziehungen geführt.

Der Begriff Polyamorie kam in den neunziger Jahren in den USA auf – zuerst in den queerfeministischen Kreisen. Mittlerweilen bekennen sich viele Männer und Frauen zu dieser Lebensform und investieren viel Zeit, Energie und Liebe in Wachstum und Beziehung.

 

…und niemand weiss – die versteckte Geschichte der Affäre

Die Heimlichkeit dieser Beziehungsform ist ein dominierender Faktor. Es besteht eine Kernbeziehung – und daneben finden ausserhalb Begegnungen statt, von denen der Kernpartner nichts weiss. Die Formen der Beziehungspflege kann von rein sexuellen Kontakten bis hin zu tiefen Parallelbeziehungen sein.

Vielleicht ist es der Reiz des Versteckten und Geheimen, der lockt und anmacht, dank dem wir uns lebendig fühlen. Vielleicht ist es aber auch die Heimlichkeit der Affäre, welche eine konstante Folter für die darstellen, die ihre Bedürfnisse ausleben. Obwohl eine Affäre durchaus während einer längeren oder langen Zeitphase gepflegt werden kann, ist ein Bestandteil immer die Endlichkeit der Verbindung, die mitschwingt. Die Endlichkeit – und das schlechte Gewissen, das Gefühl, zu betrügen.

Wann bist du treu? Ist Treue an Sexualität und Exklusivität gebunden? Dürfen wir in einer intimen Beziehung untreu sein? Lebe ich die Monogamie in der Hoffnung, dass mich meine grosse Liebe nie verlässt? Wie viel Verlustangst lebt in jeder Bindung mit? Und wie will ich LEBEN? Wie will ich LIEBEN?

Welche Beziehungsform ist nun die, welche zu uns passt? Sind wir monogam, weil wir das Gefühl haben, dadurch in einer sicheren Beziehung zu leben? Können wir uns, wenn wir uns Treue versprechen, davon ausgehen, dass wir geweiht sind vor Betrug, Selbstzweifeln, Eifersucht und Verlustängsten? Können wir, wenn wir eine offene Beziehung leben, wissen, dass nicht irgendwo noch eine heimliche Geliebte mit im Boot sitzt? Sind wir, wenn wir polyamor unterwegs sind, nicht einfach Egoisten, die auf nichts verzichten und alles haben wollen?

Treten wir in Beziehung, ist es unsere Wahl, inwiefern wir in die Tiefe der Begegnung eintauchen. Es ist unsere Wahl, wie wir uns mit dem Partner, der Partnerin auseinandersetzen. Es ist an uns zu entscheiden, wie wir miteinander reden, was wir vom anderen wissen wollen und welchen Normen und Gesetzmässigkeiten wir uns in unserem Alltag unterwerfen. Egal, welche Lebensform wir wählen:

Beziehung bedeutet Auseinandersetzung, Arbeit und Investition. Beziehung ist eine Gratwanderung.

Wir werden dabei immer wieder auf uns selbst zurückgeworfen. Wir konfrontieren uns mit unseren Gefühlen, Sehnsüchten und Ängsten. Wir können verlieren – oder wir können das Leben gewinnen.