…bis dass die Liebe endet?
Ist es, weil wir älter werden, dass wir oft unsere Liebesbeziehungen nicht bis zum Tod hin leben wollen? Weil wir uns länger jung und rüstig fühlen? Weil wir in einer Gesellschaft der Selbstverwirklichung leben, in Zeiten der Ich-Beziehung, mit den vielen Möglichkeiten nach Unabhängigkeit und dem Anerkennen anderen Konventionen? Haben wir verlernt, uns längerfristig einzulassen? Geben wir früher auf – eine Kapitulation unserer Liebesideale? Oder fokussieren wir uns vermehrt auf unsere wahren Wünsche und tauchen in Selbstreflektion und Kompromisslosigkeit ein? Erblühen wir aufgrund der vermehrt finanziellen Unabhängigkeit und der Akzeptanz, dass wir uns durch eine Trennung nicht aus der Gesellschaft ausgeschlossen fühlen müssen?
Liebe – oder strategisches Lebensbündnis
In der Generation unserer Grosseltern und Urgrosseltern waren Pflichtehen und strategische Lebensbündnisse an der Tagesordnung. Der zukünftige Ehemann, der Frau und Hof übernimmt, damit das Familienerbe weitergetragen wird. Verbindungen aus den eigenen Reihen, mit dem gleichen Bildungsniveau, aus ähnlichem Stand, wurden vernünftig geschlossen. Verliebtheitsgefühle und Liebäugeleien mit unpassenden Verehrern wurden vorzeitig unterbunden, die Frauen zum Kopf lüften ins Welschland geschickt, bis dass die Flausen der Liebe ausgestanden schienen.
Nicht, dass pragmatische Ehen weniger wertvoll gewesen wären – die Ausgangslage scheint einfach eine andere zu sein. Die Erwartung, Gefühle der Liebe, der Erfüllung, Sicherheit, Wachstum und der Romanze in einer Ehe abdecken zu können, bildete nicht das Fundament für eine lebenslange Gemeinschaft. Die Liebe, die Ehe wurde nicht romantisiert. Werte wie Stabilität, solides Zusammenarbeiten und pragmatische Gemeinschaftsgründungen waren vordergründig und zentral. Und in Zeiten der Weltkriege und der Notwendigkeit, gut über die Runden zu kommen, war es Sinn und Aufgabe der Eheleute, zusammen zu spannen.
Geht das: Leidenschaft und sicherer Hafen?
Mittlerweilen reden wir von Lebensabschnittspartnern. Ausgehend von der seriellen Monogamie, die unsere Jugendlichen leben – eine Liebe folgt der anderen, die Beziehungen bedeuten eine kurze Begegnung bis hin zu einer längeren Bindung – schlummert wohl in vielen von uns der Wunsch, irgendwann «sesshaft» zu werden und in die Zweisamkeit einzutauchen. Die Gründung des soliden, zukunftsorientierten Nestes, ein sicherer Hafen, der Leidenschaft, Liebe und Gemeinsamkeit einschliesst. Daraus wächst Stabilität, Kinder, Alltag, Verbindung, Gewohnheit, Routine.
So viele Bücher wurden geschrieben, Statistiken und Studien verfasst, und früher oder später taucht die Frage nach der lebbaren Monogamie auf. Ich behaupte, dass in jeder Beziehung irgendwann die Sehnsucht nach der berauschenden Zeit wieder aufflammt. Irgendwann kitzelt der Impuls nach Lebendigkeit des Frischverliebtseins, die Atemlosigkeit und Neugierde des Unvoraussehbaren. Und dann?
auf der Suche nach Lebendigkeit
Die Strategien, damit umzugehen, sind vielseitig. Manche setzen sich heimlich und im Alleingang mit der Lebendigkeit auseinander. Sie leben eine Affäre, wagen das Spiel mit dem Versteckten, setzen sich dem Spagat zwischen verschiedenen Menschen aus. Andere suchen sich ein prickelndes Drittes, verwirklichen sich in Hobby oder im Beruf, finden Sinn in den bestehenden Strukturen.
Ulrich Clement, ein führender deutscher Paar- und Sexualtherapeut, hat sich ausgiebig mit der Dynamik verschiedener Paare auseinander gesetzt. In der Einführung zu seinem Buch «Wenn die Liebe fremdgeht» schreibt er: «Sexuelle Untreue ist universell. Sie kommt in allen Kulturen vor. Und sie ist so alt wie die Menschheit. Aber sie ist ein heikles Erbe. Sie wird in fast allen Gesellschaften sanktioniert, und viele sogar mit drastischen Konsequenzen für die Übertreter des Verbots. Dennoch: Trotz des Risikos und der hohen Kosten für die Beteiligten lebt die sexuelle Untreue weiter.»
Zusammenfassend entnehme ich dem Buch, dass Aussenbeziehungen oder Affären immer wieder gelebt werden, manchmal im Verborgenen, bis sie eingehen. Manchmal platzen sie an die Öffentlichkeit und tauchen aus dem Dunkeln heraus. Manchmal führen sie zur Auflösung der Erstbeziehung. Manchmal werden durch die Affäre die Erstbeziehungen aufgewirbelt, durchgeschüttelt, neu definiert und weitergeführt. Und manchmal entsteht aus der Affäre eine Parallelbeziehung und eine neue überdauernde Partnerschaft.
alles was lebt, kann auch vergehen
Alles Lebendige ist wandelbar und verändert sich. Alles Lebendige ist dadurch auch endlich. Zentral ist, inwiefern das Lebendige genährt wird und inwiefern sich eine Beziehung den Bewegungen des Lebens hinzugeben vermag. Auf welchem Fundament steht eine Bindung, welchen Wachstum und welche Regeln gelten – und welche Sanktionen ergeben sich aus einem Regelbruch.
Eine Aussenbeziehung ist nicht Indiz dafür, dass die Grundbeziehung mangelhaft oder leblos sein muss. Die Gründe, untreu zu sein, sind unendlich vielseitig und individuell. Die Gründe, nicht untreu zu sein, ebenso. Ulrich Clement unterscheidet zwischen aktiver und passiver Treue.
der Entscheid zur Treue
Die aktive Treue ist ein bewusster Entscheid, vielleicht auch ein bewusster Vorsatz, manchmal ein bewusstes Korsett, die Treue zu leben. Die passive Treue bedeutet, dass kein Entscheid, treu zu leben, vorliegt. Es fühlt sich an wie ein Leben im Fluss, ohne Sehnsucht, ohne Verlust des Ungelebten ausserhalb, ohne Mangel. Der passiv Treue ist treu, geht nicht fremd und lebt, ohne auf etwas zu verzichten. Untreue ist kein Thema, und dadurch erfordert es auch keine bewusste Entscheidung für die Treue oder die Untreue.
Auch wenn wir in einer offenen Gesellschaft leben, in der so vieles möglich scheint – unkonventionelle Beziehungsformen und Liebesmodelle werden tabuisiert, Menschen, die aus den Strukturen ausbrechen, oft verurteilt und missverstanden.
Leben braucht Mut
Auszubrechen aus bestehenden Strukturen und Beziehungen bedeutet manchmal, sich dem Leben hinzugeben, der Neugierde, dem Wachstum. Das Leben zu leben braucht mehr Mut, als das Leben zu sterben.